Stellungnahme des BODDENHECHT-Projekts zu Video in sozialen Medien

, Social Ecology , Fisheries Management , Angler , Fisheries Ecology

Bunte Fischkisten zu Stapeln aufgereiht, Foto: Dominique Niessner

Am Wochenende des 16./17.01.2021 ist in den sozialen Medien und diversen WhatsApp-Gruppen ein Video aufgetaucht, das die Löschung einer großen Anlandung von Hechten aus den Bodden durch einen Berufsfischer im Hafen Schaprode auf Rügen zeigt. Die Bild-Zeitung berichtete am 20.01.2021 über den Vorgang. In der sich anschließenden teils aufgebrachten Diskussion wurde wiederholt auf das BODDENHECHT-Projekt verwiesen, auch die Bild Zeitung nahm Bezug auf uns. Unter anderem wurden Bedenken geäußert, dass dieser Fang die Zukunft des BODDENHECHT-Projekts gefährdet. Auch das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Mecklenburg-Vorpommern verwies in einer Stellungnahme auf das BODDENHECHT-Projekt und bemerkte, dass die wesentlichen durch das Video aufgeworfenen Fragen durch uns Forschende bis 2023 beantwortet werden. Zu diesen Aspekten nehmen wir als Projektteam wie folgt Stellung.

 

Projektziele

Gemäß Forschungsantrag sucht das BODDENHECHT-Projekt in Zusammenarbeit mit Fischern, Anglern, Guides sowie Akteuren der Fischerei- und Naturschutzverwaltung Antworten auf folgende Fragen:

  • Welche sozio-ökonomische Bedeutung haben die Hechte für Tourismus und Fischerei?
  • Wo befinden sich Laichgebiete und wie sehen die Wanderbewegungen der Hechte in den Bodden aus?
  • Welche Zielkonflikte bestehen zwischen den verschiedenen Nutzergruppen?
  • Was sind denkbare Maßnahmen zur Förderung der Hechtbestände, die von allen Interessengruppen getragen werden?

Diese Fragen versuchen wir durch folgende Methoden zu beantworten:

  • Auswertung historischer Fangstatistiken
  • Markierung von Hechten (u. a. über Peilsender) und räumliche Analyse von Rückfängen und Wanderbewegungen in enger Zusammenarbeit mit Fischern, Guides und Anglern
  • Befragungen von Fischern, einheimischen Anglern, Guidingunternehmen und Angeltouristen
  • Entwicklung von computerbasierten Simulationsmodellen zur Analyse der Wirkungsweise von Bewirtschaftungsoptionen
  • Durchführung moderierter Runder Tische, in denen Fischer, Angler, Guides, Naturschutz- und Fischereiverwaltungsvertreter und andere Interessengruppen miteinander künftige Bewirtschaftungsoptionen für die Boddenhechte ausarbeiten. Wir Wissenschaftler unterfüttern die Diskussionen mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen.

Bei dem in dem viral gegangenen Video gezeigten Vorgang und der sich anschließenden Diskussion im Internet handelt es sich zunächst um eine biologische Frage der Nachhaltigkeit der Hechtentnahme. Damit verwoben ist aber auch eine Debatte zu Zielkonflikten und moralischen Vorstellungen, wie die Wortmeldungen und dahinterliegenden Argumente in den sozialen Medien und in einem kursierenden Anschreiben an das Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt aufzeigen. Moralische und ethische Fragen lassen sich naturwissenschaftlich nicht beantworten. Zu wie viel Prozent sollte der Hechtbestand berufsfischereilich und/oder anglerisch bewirtschaftet werden? Was ist wichtiger – der regional vermarktete Hecht, das touristische Angelerlebnis oder ein Naturschutzgebiet ganz ohne Fischerei und Angelfischerei? Antworten auf diese ethischen Fragen kann nur die Politik nach Abwägung von Kosten und Nutzen liefern, nicht die Wissenschaft. Wir erörtern daher lediglich die Frage der nachhaltigen Fischereisterblichkeit beim Boddenhecht, soweit wir dazu nach dem gegenwärtigen Projektstand in der Lage sind.

 

Zur Nachhaltigkeit der Fischerei

Solange sich die Gesamtentnahmemenge an Hechten aus den Bodden über alle Fischer und Angler im Rahmen des nachhaltigen Dauerertrags (engl. maximum sustainable yield, MSY) bewegt, ist der rügensche Boddenhechtbestand als nachhaltig befischt einzuschätzen. Erste genetische Analysen zeigen, dass der Bestand in den brackigen Boddengewässern (West- und Nordrügen, Strelasund, Greifswalder Bodden und die Darß-Zingster-Boddenkette) eine einheitliche Reproduktionseinheit bildet. Diese Gebiete werden im Folgenden als rügenscher Boddenbestand bezeichnet, die über Reproduktion, Wachstum und Sterblichkeit einen über die Entnahme abschöpfbaren Hechtbestand bilden. Ein begründeter Schätzwert für den maximal nachhaltigen Dauerertrag des rügenschen Hechtbestands ist ein Jahresertrag von 200 Tonnen Hecht über alle Fischer und Angler zusammen. Ein einzelner Fang von z. B. 1, 2 oder 3 Tonnen Hecht ist daher für sich genommen und isoliert ohne Probleme vom rügenschen Hechtbestand verkraftbar. Es ist auch zweitrangig, ob die Entnahme in der Vorlaichzeit passiert oder nicht, wichtig ist, dass genügend Hechte zum Laichen kommen und die Laichgebiete qualitativ und quantitativ zur Verfügung stehen.

Es ist unstrittig, dass durch die Melioration der DDR in den 1970-1980er Jahren viele Süßwasserzuflüsse und Hechtlaichwiesen als ehemals wichtige Laichgebiete heute nicht mehr für die Reproduktion der Hechte zur Verfügung stehen. Nach vorliegenden Erkenntnissen rekrutiert sich der Boddenhechtbestand aktuell überwiegend aus dem Brackwasser, d.h. die Boddenhechte haben sich reproduktionsseitig an das Laichen unter Brackwasserbedingungen angepasst. Es ist davon auszugehen, dass über das gesamte Gebiet eine Vielzahl von Laichplätzen in Buchten und Wieken, aber auch in kleinen Gräben und Zuflüssen, zur Regeneration des Bestands beitragen, sodass auch eine eventuelle lokale Überfischung eines einzelnen Laichplatzes durch das Mehraufkommen an alternativen Laichplätzen kompensiert werden kann. Das verlangt natürlich, dass insgesamt über alle Laichplätze genügend Laichfische zum Ablaichen kommen und sich in der Folge die Nachkommen über das gesamte Gebiet verteilen. Zu dieser Frage liegen noch keine Erkenntnisse vor. Ungeachtet dieser Frage sollten die herrschenden Mindestmaße und Schonzeiten, die für Fischer und Angler gleichermaßen gelten, den Schutz eines ausreichenden Hechtlaicherbestands an den Bodden garantieren.

Über die Relevanz des zur Diskussion stehenden Laichgebiets für die Gesamtreproduktion des rügenschen Boddenhechtbestands liegen keine Informationen vor. Es ist auch nicht vollständig bekannt, ob sich die Hechte in den Bodden aus unterschiedlichen Laichbuchten genetisch voneinander unterscheiden, d.h. ob es in den Bodden selbst Teilpopulationen gibt, die isoliert voneinander gemanagt und geschützt werden sollten. Sehr wohl abzugrenzen sind die Teilpopulationen in Zuflüssen wie der Peene und der Barthe. Für unterschiedliche Laichgebiete in den Bodden liegen diese Informationen nicht vor. Ob die Entnahme einer Hechtmenge von 1, 2 oder 3 Tonnen für ein lokales Laichgebiet in den Bodden (z. B. in einer Bucht) daher problematisch ist, kann mit den zur Verfügung stehenden Daten nicht seriös beantwortet werden, da wir noch keine Vorstellung darüber haben, wie verbunden die einzelnen Bodden sind und wie viele relevante Laichgebiete es gibt. Das ist u. a. etwas, das wir im Projekt versuchen über die Hechttelemetrie und begleitender populationsgenetischer Studien zu beantworten. Dazu ist es wiederrum wichtig, dass rückgefangene Senderhechte an uns zurückgemeldet werden.

Hechte werden aktuell sowohl von Anglern wie auch von Fischern aus den Bodden entnommen. Nach einer von uns durchgeführten, noch unpublizierten bestandskundlichen Analyse ist der Boddenhecht-Bestand heute als voll genutzt einzuschätzen, d. h. nicht überfischt und auch nicht überangelt, jedoch ist die Biomasse seit den letzten fünf Jahren abnehmend. Die Hechtmenge nimmt also aktuell im Gebiet ab. Da die Fangraten (z. B. Angelfänge pro Tag) in gewissen Grenzen proportional zur Bestandsgröße sind, kann aus der in der jüngsten Vergangenheit abnehmenden Hechtmenge an den Bodden geschlussfolgert werden, dass in Umfragen von Anglern und Guides mitgeteilte Einschätzungen rückgehender Fangzahlen durch die Bestandsanalyse bestätigt werden.  

Warum nehmen aktuell die Hechtmengen im Gebiet ab? Hier können wir aufgrund des Fehlens von belastbaren Daten nur begründete Vermutungen anstellen. Mehrere Gründe könnten eine Rolle spielen. Einer der Faktoren könnte ein zu hoher Fischereidruck durch Fischer und Angler zusammengenommen sein. Andere Möglichkeiten umfassen Umweltveränderungen wie Klimawandel, Veränderungen der Beutefischzusammensetzung und –verfügbarkeit, Einschränkungen der Zugänglichkeit von Laichplätzen oder auch eine Zunahme von Prädatoren wie Kormoranen oder Robben. Es ist denkbar, dass der Verlust von Laichgebieten in  Süßwasserzuflüssen die Fähigkeit des Bestands reduziert hat, Rekrutierungsausfälle in den Bodden, z. B. aufgrund zufälliger Salzgehaltsänderungen durch Einstromereignisse, abzupuffern. Das spräche dafür, die Zugänglichkeit der Zuflüsse über Renaturierungen aktiv anzugehen. Es mehren sich ebenfalls Hinweise, dass die Hechte ihre Aufenthaltsorte verändert haben und heute überwiegend im Flachwasser aufzufinden sind. Das liegt mit großer Wahrscheinlichkeit an dem Aufklaren einiger Bodden, wie es aus Binnenseen bekannt ist. Traditionelle Fangplätze in tieferem Wasser sind dadurch verloren gegangen, und viele Flachwasserbereiche sind aufgrund von Beschränkungen der Befahrbarkeit (gerade im Nationalpark) nur für Uferangler zugänglich. Möglich ist auch, dass die Hechte in stark befischten Gebieten köderscheu geworden sind, was ebenfalls die Fängigkeit reduziert. Einige dieser Aspekte untersuchen wir aktuell im Projekt.

 

Zur Zukunft des Projekts

Das BODDENHECHT-Projekt untersucht den derzeitigen Zustand der Fischerei und der Angelfischerei im Gebiet. Das schließt die Entnahme von Hechten durch Fischer und Angler mit ein. Für unser Projekt ist es besonders wichtig, dass rückgefangene markierte oder besenderte Hechte (interne Peilsender) an das Projektteam gemeldet werden. Nur so ist es uns möglich, Wanderbewegungen, Austauschprozesse und andere biologische Grundlagen des Hechts zu verstehen.

Das Projekt wird von einer Vielzahl an Guides, Anglern und Berufsfischern auf und um Rügen rege unterstützt, und es findet eine aktive Meldung von Rückfängen aus der kommerziellen Fischerei und der Angelfischerei statt. Wir bedanken uns sehr für diese Beteiligung und hoffen, dass wir weiter auf Eure und Ihre Unterstützung zählen können. Das BODDENHECHT-Projekt ist durch das gezeigte Video keinesfalls gefährdet, die Forscher arbeiten weiter an den verschiedenen Fragestellungen. Aktuell läuft noch eine Befragung unter Anglern, und wir bitten, sich rege an dieser Umfrage zu beteiligen: www.imug-research.de/Boddenhecht

Rückfragen und Bedenken rechtlicher Natur zu dem im Video gezeigten Sachverhalt oder sonstigen Dingen, die mit der Einhaltung von Regeln und Normen an den Bodden zu tun haben, bitten wir an die entsprechenden offiziellen behördlichen Stellen zu richten.

 

Quellen aus dem Projekt und weiterer in der Region durchgeführter aktueller Studien

Arlinghaus, R. (2019). Wann ist ein Bestand überfischt? Blinker, 10/2019, 42-46

Ahrens, R., Allen, M. S., Walters, C., Arlinghaus, R. (2020). Saving large fish through harvest slots outperforms the classical minimum-length limit when the aim is to achieve multiple harvest and catch-related fisheries objectives. Fish and Fisheries, 21, 483-510

Eschbach, E., Nolte, A.W., Kohlmann, K., Alós, P, Schöning, S., Arlinghaus, R. (2021). Population structure of a top predatory fish (northern pike, Esox lucius) covaries with anthropogenic alteration of freshwater ecosystems. Freshwater Biology, im Druck.

Möller, Winkler, H.M., Klügel, A., Richter, S. (2019). Using otolith microchemical analysis to investigate the importance of brackish bays for pike (Esox lucius Linnaeus, 1758) reproduction in the southern Baltic Sea. Ecology of Freshwater Fish, 28, 602-610.

Möller, S., Winkler, H. M., Richter, S. & Bastrop, R. (2021). Genetic population structure of pike (Esox lucius Linnaeus, 1758) in the brackish lagoons of the southern Baltic Sea. Ecology of Freshwater Fish, 30, 140-149.

Monk, C., Bekkevold, D., Klefoth, T., Pagel, T., Palmer, M., Arlinghaus, R. (im Druck). The battle between harvest and natural selection creates small and shy fish. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America.

Van Gemert, R., H.M. Winkler, D. Kömle, R. Arlinghaus (2021). Data-poor stock assessment of fish stocks co-exploited by commercial and recreational fisheries: applications to pike (Esox lucius) in the western Baltic Sea. Fisheries Management and Ecology. Preprint.


Published : 2021
Publisher : News