HINTERGRUND

Boddenhecht, Stellnetzfahnen, Foto: Dominique Niessner


Steilküsten, flach-hügelige Buchten mit Sandstränden, riesige Schilfflächen entlang der Bodden, Flachwasser- und Windwattbereiche und ein hoher Fischreichtum – kaum ein anderer Küstenabschnitt in Deutschland ist so abwechslungsreich und reizvoll wie der rund Rügen. Seit der Hansezeit gelten die Gewässer um Rügen als Zentrum des Fischfangs. Heute zieht es jährlich rund 50.000 Angler aus Mecklenburg-Vorpommern sowie anderen Bundesländern und aus dem Ausland an die Boddenküste Mecklenburg-Vorpommerns. Schließlich zählen die Bodden rund Rügen in Europa mittlerweile zu den besten Revieren, um Hechte zu fangen. Hier ist der Fang kapitaler Hechte mit Größen über einem Meter und einen Gewicht über 10 kg keine Seltenheit. Der Tourismus und die Angelfischerei profitieren hiervon. Doch auch für die Berufsfischerei ist der Hecht keine uninteressante Fischart, die lokal und regional vermarktet wird. Belastbare Daten zu Bestandsentwicklung, Reproduktion, Laichgebieten und nicht zuletzt auch zur Nutzung der Boddenhechte über die Fischerei und den Angeltourismus sind bislang allerdings rar gesät. Die Ökologie des Hechts und seine fischereiliche Nutzung wurden in den Boddengewässern rund Rügen bisher nur lückenhaft untersucht. Vor allem Daten zur Bedeutung für Tourismus und Fischerei, aber auch zu Laichplätzen und Wanderbewegungen sind kaum vorhanden.

 

Daher geht BODDENHECHT den Hechten rund Rügen auf den Grund. Gemeinsam mit möglichst vielen Anglern, Berufsfischern und Guides möchte BODDENHECHT bis zum Jahr 2022, die Hechte in den Küstengewässern rund Rügen untersuchen und geeignete Maßnahmen zur Förderung der Hechtbestände identifizieren. Durch Besenderung und Markierung von Hechten und die Befragung aller lokalen Fischereiakteure – Fischer, Angler, Guides –  soll die hierfür nötige Datenbasis geschaffen werden. Die Untersuchungen sollen in einem, von allen Akteuren akzeptierten Vorschlag eines Konzepts zur künftigen Bewirtschaftung der Hechte in den Boddengewässern Mecklenburg-Vorpommerns münden. Begleitet wird das Projekt durch umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit und Einbindung aller interessierten Akteure.

 

Die gesamte Hechtpopulation in den Bodden stammt aus einem natürlichen Wildbestand. Die Rekrutierung erfolgt nach jüngsten Studien überwiegend aus dem Brackwassergebiet. Der Salzgehalt beschränkt die Reproduktion, die nur bis zu etwa einem Gehalt von 10 Promille denkbar ist. Hechte werden in den Bodden über Mindestmaße und Schonzeiten sowie allgemein über ein Netz von Schutz- und Schongebieten, die nicht spezifisch auf den Hecht ausgerichtet sind, bewirtschaftet. Auch der Besatz von Boddenhechten wurde in der Vergangenheit probiert, hat sich aber als nicht erfolgreich erwiesen. In anderen Gebieten der Ostsee, vor allem in Schweden und Finnland, sind die Hechtbestände rückläufig. Guides und andere Akteure berichten von ähnlichen Trends für die Boddenhechte rund um Rügen. Insbesondere im Greifswalder Bodden. Auch die Hechtgrößen sollen zurückgehen – ein mögliches Zeichen der Größenüberfischung. Daher fordern einige Anbieter von Angeltouren zu einer selektiven Fischentnahme auf und mahnen besonders „Laichhechte und kapitale Hechtdamen“ wieder unbeschadet zurückzusetzen. Viele weitere Faktoren können Einfluss auf die Hechtbestände haben, wie sich ändernde Salzgehalte, Klimawandel, Berufsfischerei und andere Umweltfaktoren. Beispielsweise bevorzugen Hechte überschwemmte Wiesen oder seichte, verkrautete Uferpartien zur Eiablage. Welche Faktoren schlussendlich maßgebend sind, gilt es bei BODDENHECHT herauszufinden. Hier ist Forschung gefragt – zu Bestand, Reproduktion, biologischen Wechselwirkungen und nicht zuletzt auch zur Nutzung der Hechte über die Angel- und Berufsfischerei.



Was sind eigentlich Bodden?

Bodden sind flache, durch Inseln oder Landzungen vom Meer abgetrennte, nährstoffreiche, ständig durchmischte innere Küstengewässer, die ein geringer Salzgehalt im oligo- bis mesohalinen Bereich kennzeichnet. Der Begriff Bodden ist niederdeutschen Ursprungs und bedeutet „Boden“ oder „Grund“, was sich auf die geringe Tiefe der Gewässer bezieht. Da die Bodden kaum tiefer als acht Meter sind (im Durchschnitt zwei bis fünf Meter Tiefe, max. 13, 5 m im östlichen Greifswalder Bodden), bieten diese ständig von Nährstoffen durchmischten Flachwasserzonen mit ihren Seegraswiesen, Dickichten aus Blasentang und anderen Unterwasserpflanzen ideale Bedingungen als Einstandsgebiete, Lebensraum für Fischnährtiere – wie Schnecken, Muscheln, Borstenwürmer und Krebstiere – und als Fischlaichgebiete. Durch die geringe Tiefe steigen im Frühjahr die Wassertemperaturen schneller an, sinken im Herbst allerdings auch schneller wieder ab als in den äußeren Küstengewässern der Ostsee. Die Ostsee und damit auch die Boddengewässer sind gezeitenlos. Der Wasserstand in den Bodden wird von den vorherrschenden Wind- und Strömungsverhältnissen beeinflusst und schwankt zum Teil um bis zu einen Meter um den durchschnittlichen Wert. Bei starkem Nordostwind wird das Wasser in die Bodden hineingedrückt und es kommt zu Hochwasser in der westlichen Ostsee und den Boddengewässern. Starke Westwinde hingegen, drängen das Wasser nach Osten aus den Bodden heraus, was Niedrigwasser zur Folge haben kann. Durch diese Wasserstandsschwankungen beeinflussen Wind und Strömung den Wasseraustausch zwischen Ostsee und Boddengewässern und damit auch deren Salzgehalt, der in der Regel im Vergleich zur offenen Ostsee erheblich niedriger ist und in den Boddengewässern rund um Rügen von Westen nach Osten zum Greifswalder Bodden abnimmt. Streng genommen gehören die Bodden daher eigentlich weder so richtig zum Meer, noch zu den Binnenseen. Gerade das macht die Bodden so interessant: Denn hier sind neben marinen auch eine Reihe von salzwassertoleranten Süßwasserarten vertreten – die jeweilige Verbreitungsgrenze wird artspezifisch vorrangig durch die Salinität bestimmt.


Warum Hecht?

Flunder, Scholle, Hering, Hornhecht, Meerforelle und Dorsch teilen sich mit Barsch, Blei, Plötz, Quappe, Zander, Aal und Hecht denselben Lebensraum! Das Projekt BODDENHECHT fokussiert auf die Bestände der Hechte. Der Grund ist dreierlei. Erstens erreichen die Hechte rund um Rügen kapitale Größen und sind daher vor allem für Angler von großem Interesse. Zweitens in der Hecht ein Süßwasserfisch, zudem aus dem Süßwasser bereits umfangreiches ökologisches Wissen vorliegt. Zur Ökologie der Brackwasserhechte ist hingegen gerade aus Deutschland der Wissensbestand deutlich beschränkter. Und drittens ist der Hecht ein Nebenfisch der kommerziellen Küstenfischerei und damit finden sich drei große Fischereigruppen im gleichen Gebiet – kommerzielle Fischer, einheimische Boddenangler und Angeltouristen, die entweder selbstorganisiert oder über Guides den Hechten in den Bodden nachstellen. Da bleiben Konflikte nicht aus, was das Thema BODDENHECHT in der Summe wissenschaftlich spannend und sozial und ökonomisch relevant werden lässt. Und genau das sind die Kernthemen der IFishMan-Arbeitsgruppe.