Angelfischerei in Deutschland - eine soziale und ökonomische Analyse

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In Industrienationen wird der Binnenfischereisektor in Oberflächengewässern seit langem von der Angelfischerei und nicht mehr von der kommerziellen Seen- und Flussfischerei dominiert. Ungeachtet dessen ist die Informationsgrundlage über die soziale und ökonomische Bedeutung der Freizeitfischerei ungenügend, obgleich modernes Angelfischereimanagement Management von Fischbeständen und Menschen mitsamt ihren Erwartungshaltungen und Verhaltensweisen bedeutet. Diese Studie dokumentiert die Ergebnisse einer telefonisch durchgeführten Zufallserhebung unter in Deutschland wohnhaften, aktiven Anglern (N = 474). Sie soll die existenten Wissenslücken in gewisser Weise schließen. Neben Anglern wurde die Bevölkerung telefonisch zu Aspekten der Angelfischerei befragt (N = 323). Ziel der Studie war es, Wissenschaftlern, Politikern, Behörden, Verbänden und Anglern fundierte Einsichten in eine wichtige Freizeitaktivität in Deutschland zu liefern. Es wurde festgestellt, dass das Angeln eine Freizeitbeschäftigung ist, die von der in der Bundesrepublik wohnhaften Bevölkerung in großem Umfang und mit hohem Engagement betrieben wird. Im Jahre 2002 angelten etwa 3,3 Millionen Menschen im Alter von 14 und mehr Jahren mindestens einmal in Deutschland oder im Ausland. Die absolute Anglerzahl pro Bundesland hing eng mit der Bevölkerungsdichte pro Bundesland zusammen. Relativ auf ein Bundesland bezogen, fanden sich besonders viele Anglerhaushalte in den nördlichen Bundesländern. Verglichen mit der Bevölkerung lebten Angler signifikant häufiger in kinderreichen Einanglerhaushalten sowie in ländlichen Gebieten. Angler waren zu einem überragenden Anteil männlichen Geschlechtes, wobei ältere Altersgruppen in der Anglerpopulation unterrepräsentiert waren. Das Angeln war in sämtlichen Gesellschaftsschichten verbreitet. Die Bevölkerung war mehrheitlich positiv gegenüber der Angelfischerei eingestellt. Der ökonomische Gesamtnutzen des Angelns für die Gesellschaft konnte mit rund 6,4 Milliarden € jährlich beziffert werden. Etwa 52.000 Erwerbstätige hingen im Jahre 2002 direkt und indirekt von den Ausgaben der Angler ab. Der Einstieg ins Angelhobby fand überwiegend bereits im Kindesalter statt. Die befragten Angler waren nur zu etwa 50-60% in Angelvereinen organisiert. Im Mittel wurden bemerkenswerte 40% der jährlichen Angeltage von in der Bundesrepublik wohnhaften Anglern im Ausland verbracht. Flüsse und natürliche Standgewässer waren die wichtigsten Angelgewässer für fast 60% der befragten Angler. Nennenswerte Angelaktivitäten fanden auch im Salz- oder Brackwasser statt. Im Mittel entnahm jeder Angler den Gewässern jährlich etwa 13 kg Fisch oder 75% des Fischfanges. Der angelfischereiliche Gesamtertrag konnte mit rund 45.000 Tonnen pro Jahr geschätzt werden, was somit Größenordnungen der gesamten kommerziellen Binnenfischerei erreicht. Karpfen, Salmoniden sowie Hecht, Dorsch und Aal stellten die am häufigsten den Gewässern entnommenen Fischarten. Resultat des erheblichen Fischertrages war, dass auf Bundesebene durch die Angelfischerei im Mittel mehr Phosphor aus den Gewässern entnommen, als durch das Anfüttern eingetragen wurde. Der Großteil der Angler bevorzugte Uferangeln mit natürlichen Ködern, wobei mit Vorliebe in möglichst naturnahen Gewässern größere, natürlich reproduzierte Fische gezielt beangelt wurden. Die Angler in Deutschland zeigten, nach Motiven befragt, wenig Interesse für den Fischfang an sich. Die indirekte Analyse der Zufriedenheitskomponenten beim Angeln ergab hingegen, dass die Befriedigung von Fangerwartungshaltungen entscheidend zur Zufriedenheit des Anglers beitrug. Somit war das Fangen von Fischen entgegen der selbstberichteten Motivation (verständlicherweise) doch ein wichtiges Element der Angelaktivität. Das Umweltbewusstsein der Angler in Deutschland konnte als moderat eingestuft werden. Während Angler sich zunächst, wenn sie ohne Bezug zur Angelei befragt wurden, als „ökologisch denkend“ darstellten, weil sie z.B. Tieren und Pflanzen die gleichen Rechte wie den Menschen einräumten, änderte sich das Bild, als Angler die Einsicht äußern sollten, möglicherweise negative Auswirkungen auf die Gewässerökosysteme auszuüben (z.B. durch Überfischung). Es stellte sich heraus, dass bei dieser Selbsteinschätzung nur eine Minderheit eine ökologische Grundüberzeugung äußerte. Auch eine Verhaltensänderung zugunsten des Gewässerschutzes wurde von keiner Mehrheit befürwortet. Die meisten Angler waren der Meinung, dass zukünftig entweder die Habitatqualität verbessert oder der Fischbesatz ausgedehnt werden müsse, um eine Verbesserung der Bedingungen für das Angeln zu gewährleisten. Organisierte und nichtorganisierte Angler unterschieden sich in einigen Aspekten erheblich voneinander. Interessanterweise waren nichtorganisierte Angler tendenziell umweltbewusster als Vereinsangler, während letztere das bei weitem aktivere Anglersegment darstellten. Nichtorganisierte Angler waren signifikant häufiger als organisierte weiblichen Geschlechts, waren jünger und wohnten häufiger in Ballungsräumen. Die vorgelegten Daten lassen verschiedene Schlussfolgerungen für das angelfischereiliche Management zu. Wegen der hohen sozioökonomischen Bedeutung der Freizeitfischerei in Deutschland sollten zukünftig die öffentlichen wie privaten Aufwendungen für die in der Praxis notwendige Datengewinnung erhöht werden. Falls die Fischereipolitik künftig eine Stabilisierung und eventuell sogar eine Steigerung der Angelaktivität erreichen möchte, sollten die Marketingaktivitäten besonders in Bezug auf jüngere Personen (z.B. Kinder und Jugendliche) und Frauen in urbanen Räumen ausgeweitet werden. Eine weitere Möglichkeit, durch ein effektiveres Angelfischereimanagement Anglern und strukturschwächeren, ländlichen Regionen zu nutzen, bietet sich, wenn auch der sich bereits etablierte, jedoch kaum beachtete Angeltourismus im In- und Ausland verstärkt ins Auge gefasst wird. Für die Zukunft ist dringend angeraten, die Angler nicht mehr als einheitliche Gruppe, sondern als ein aus verschiedenartigen Einstellungen, Bedürfnissen und Wünschen bestehendes soziales System aufzufassen. Im Rahmen des Management sollten Vereine, Behörden, Gewässerwarte, Kommunen und andere „Fischereimanager“ die Anglervielfalt akzeptieren und in stärkerem Maße lokal untersuchen und berücksichtigen. Im Sinne der Harmonisierung der Interessen von (Angel)Fischerei und Natur- und Tierschutz sollte im Rahmen eines nachhaltigen Angelfischereimanagements ein noch stärkeres Gewicht auf lebensraumrehabilitierende Maßnahmen gelegt werden. Fischbesatz, der derzeit in Deutschland (und weltweit) kontrovers diskutiert wird, kann Habitatrehabilitierung auf breiter Ebene ergänzen, jedoch nicht ersetzen. In der vorliegenden Schrift werden deswegen weitere Empfehlungen angeboten, die eine stärkere Unterstützung der Angler im Hinblick auf ein habitatbezogenes Management ermöglichen könnten. Um das zukünftige Angelfischereimanagement allgemein zu leiten, werden abschließend sieben Grundanforderungen vorgestellt, die sich aus vorliegender und anderen Studien des Autors ergeben: (1) Etablierung eines durch Habitatmanagement gekennzeichneten, ökosystem-bezogenen Betrachtungsansatzes unter Berücksichtigung der Ansprüche aller Betroffenen, (2) Schaffung effektiverer Institutionen (d.h. effektiverer Regelsysteme) unter besonderer Berücksichtigung der traditionellen angelfischereilichen Bewirtschaftungspraxis, (3) Anwendung adaptiver Managementsysteme und eines vollständigen Managementprozesses auf Basis der Erfolgskontrolle durchgeführter Maßnahmen, (4) Berücksichtigung von Vorsichtigkeitsansätzen und -prinzipien bei wissenschaftlicher Unsicherheit, (5) Bevorzugung von indirektem Management, welches das Anglerverhalten nicht direkt durch restriktive Regulierungen, sondern durch Aufklärung, Kommunikation, Bildung etc. indirekt verändert, (6) Berücksichtigung der Anglervielfalt, um regional möglichst viele Bedürfnisse zu befriedigen sowie (7) Berücksichtigung einer regionalen Fischbestand-Anglerdynamik, da Angler kurzfristig als Reaktion auf veränderte „Angelqualitäten“ ihren Angelaufwand unter verschiedenen Fischereien umschichten können. Weitere Studien, die die vorgelegte Arbeit vertiefen und ergänzen, sind unbedingt notwendig.

Arlinghaus, R. (2004). Angelfischerei in Deutschland – eine soziale und ökonomische Analyse. Berichte des IGB 18, 168 pp.


Published : 2004
Appeared in : Berichte des IGB 18, 168 pp.