Wichtigste Erkenntnisse

Fachgebietsleiter Prof. Dr. Arlinghaus  arbeitet seit 2000 (Beginn der Promotion) speziell zur Angelfischerei. Seit 2006 wird die Forschungsarbeit im Team von Studierenden, Doktorierenden, Postdocs und nationalen und internationalen Kooperationspartnern realisiert. Die in den letzten ca. 15 Jahren betriebene Forschung hat zu folgenden fünf Schlüsselinnovationen geführt.

(1) Angelfischerei ist die gesellschaftlich wichtigste Binnenfischereiform

Im Rahmen der Promotion von Robert Arlinghaus (2000 – 2003) wurden für Deutschland erstmalig umfassende, repräsentative Befragungen unter Anglern durchgeführt. Die wesentliche Erkenntnis war, dass die hobbymäßig ausgeübte Angelfischerei gesamtgesellschaftlich die wichtigste Fischereiform in Binnengewässern darstellt. Insgesamt angeln in Deutschland ca. 3,3 Mio. Menschen, die etwa zehn Mal mehr Fisch aus den Gewässern entnehmen als die kommerzielle Seen- und Flussfischerei (Arlinghaus 2004, 2006). Volkswirtschaftlich ist die Angelfischerei mindestens so bedeutend wie die gesamte sonstige Fischwirtschaft, inkl. industrielle Fangfischerei und Fischverarbeitung und –vermarktung. Ca. 52.000 Arbeitsplätze hängen von den Ausgaben der hiesigen Angler ab (Arlinghaus 2004).

(2) Angler sind divers, aber ohne Fischfang bleibt der Sonnenaufgang unvollkommen

Eine zweite wichtige Erkenntnis verschiedener Umfrageprojekte in unterschiedlichen Bundesländern in Deutschland war, dass Angler erwartungsgemäß eine hohe Heterogenität in Bezug auf Einstellungen, Wahrnehmungen, Präferenzen und Verhaltensweisen kennzeichnet (Arlinghaus et al. 2008; Beardmore et al. 2011). Was aber viele Anglertypen eint, ist die Sehnsucht nach ausreichend hohen Fischfängen (Arlinghaus & Mehner 2005; Arlinghaus et al. 2008), insbesondere der Fang kapitaler Fische ist für viele Angler von überragender Bedeutung und häufig auch wesentliche Motivation, bestimmte Gewässer aufzusuchen (Arlinghaus et al. 2014; Beardmore et al. 2015). Diese Erkenntnis steht nicht im Einklang mit der traditionellen Motivationsforschung, die über viele Jahre postuliert hat, dass die primäre Motivation des Anglers das Ausbrechen aus dem Alltag und die Naturerfahrung ist (Arlinghaus 2006b). Weil aber die Naturerfahrung im Vergleich mit den Fangaspekten des Angelns einfacher und schneller zu befriedigen ist, beschränken im Umkehrschluss vor allem mangelnde Fänge die Anglerzufriedenheit (Arlinghaus 2006b). Das hat Konsequenzen für die Bewirtschaftung, die entgegen vielen anderslautenden Hinweisen selbstverständlich stark auf die Bereitstellung von zufriedenstellenden Fangaussichten auszurichten ist, wenn das Ziel (auch) ist, neben dem Fischbestandserhalt in zufriedene Anglergesichter zu schauen. Das heisst jedoch nicht, dass die Nichtfangattribute (z. B. Zahl anderer Angler, Fangbestimmungen) für die Gewässerwahl unbedeutend sind. Besonders realistische Prognosen über aus sozio-ökonomischer Sicht optimale Fangbestimmungen, erhält man, wenn man das komplexe Anglerverhalten verschiedener Anglertypen möglichst realitätsnah auf Basis einer multidimensionalen Nutzenfunktion abbildet (Johnston et al. 2010, 2013, 2015).

(3) Angeln als Evolutionsfaktor, Fischpersönlichkeit und das Schüchternheitssyndrom

Wir konnten zeigen, dass intensive und selektive Angelfischerei als Evolutionsfaktor (Jørgensen et al. 2007) wirken kann und zur Veränderung der Lebensgeschichte genutzter Fischpopulationen beitragen kann (Selektion auf eine schnelle Lebensgeschichte, Arlinghaus et al. 2009; Matsumura et al. 2011; Uusi-Heikkilä et al. 2015). Darüber hinaus wurde unter Rückgriff auf hochaufgelöste Echtzeittelemetrie (Krause et al. 2013) und in Teichexperimenten an Forellenbarschen festgestellt, dass beim Angeln aktive, mutige, aggressive und reproduktiv besonders wertvolle Tiere selektiert werden (Kobler et al. 2009; Sutter et al. 2012; Alós et al. 2012; Uusi-Heikkilä et al. 2015), was dazu führt, dass die überlebenden Fische immer schlechter zu fangen sind (Sutter et al. 2012; Alós et al. 2015a,b). Möglicherweise führt intensives Angeln zu einem Schüchternheitssyndrom, was zu immer schlechteren Fängen führt, ohne dass die Fischbestände zwangsläufig rückläufig sind (Arlinghaus et al. 2016).

(4) Entnahmefenster sind die bessere Fangbestimmung in der Angelfischerei

Sowohl empirisch an Modellorganismen (Uusi-Heikkilä et al. 2010, 2015), in Teichversuchen an Hechten (Arlinghaus et al. 2010) und in Simulationsmodellen (Arlinghaus et al. 2010; Matsumura et al. 2011; Gwinn et al. 2015; Uusi-Heikkilä et al. 2015) konnten wir feststellen, dass Entnahmefenster (Schutz sowohl kleiner unreifer als auch der besonders großen Laichfische) soziale und ökologische Wirkungen haben, die für Angler günstiger sind als diejenigen, die aus traditionellen Mindestmaßen resultieren. Auf dieser Grundlage wurden Entscheidungsbäume zur Ableitung optimaler Fangbestimmungen je nach ökologischen und sozialen Bedingungen abgeleitet (FAO 2012; Arlinghaus et al. 2015).

(5) Viele Fischbesatzmaßnahmen sind fischereilich ohne Wirkung und ökologisch risikobehaftet; Involvierung von Anglern in praxisnahe Forschung ist umweltpädagogisch wirksam

Im Zeitraum von 2010 bis 2014 haben wir ein großes, interdisziplinäres Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit 18 Angelvereinen zum Fischbesatz durchgeführt. Fischbesatz als Hegemaßnahme resultiert selbstorgansiert aus starker Umweltstochastizität (van Poorten et al. 2011) und anderen sozial-ökologischen Gründen (Arlinghaus et al. 2015). Wir konnten am Beispiel von Hechten (Esox lucius) zeigen, dass Fischbesatz in reproduzierenden Beständen fischereilich gesehen wirkungslos ist (Hühn et al. 2014), gleichsam aber hohe Risiken für die genetische Biodiversität birgt (Eschbach et al. 2014). Obgleich der Glaube in Fischbesatz unter Anglern stark ausgeprägt ist, verändern Gewässerwarte und Angler, die aktiv in praxisnahe Forschung an ihren Gewässern eingebunden sind, ihre Erwartungshaltungen an Besatz und zeigen sich offen für Alternativen (Arlinghaus et al. 2015). Diese umweltpädagogische Wirkung wird durch Seminar und Vorlesungen nicht erreicht (Fujitani et al. 2016).